Nordisch leben

Wie lebt eine moderne Hexe?

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Minerva läuft an einem sonnigen Oktobermorgen mit einem brennenden Bündel Kräuter durch ihren Garten. Sie fächert den Pflanzen Rauch zu, der von dem getrockneten Beifuß in ihrer Hand ausgeht. Um ihre Füße schlängelt sich dabei eine ihrer neun Katzen. Auf den ersten Blick erkennt man es nicht, doch Minerva ist eine Hexe.

Dem typischen Hexenklischee entspricht sie nicht: Sie trägt keine schwarze Kleidung mit einem spitzen Hut auf dem Kopf und auf einem Besen reitend findet man die 47-Jährige auch nicht vor. Eher im Gegenteil: Minerva setzt auf bunte Farben. Sie trägt ein langes Kleid und ein hellblaues Tuch. Ihre roten Haare sind zu zwei Zöpfen geflochten.

Genauso bunt wie sie, ist auch ihr abgelegener Hexenhof in Tossens (Gemeinde Butjadingen), auf dem sie mit ihrem Mann lebt. Klangspiele, bunte Bemalungen an den Bäumen und ein naturbelassener Garten runden das Bild des Hexenhofs ab. Sobald man ihren Laden betritt, steigt einem der Geruch von Räucherstäbchen in die Nase. Seife, Schmuck und Kräuterkerzen: In ihrem Geschäft bietet sie Produkte rund um die Hexerei an. Auch spirituelle Hochzeiten und Auftragszauber gehören zu ihrem Angebot. Doch Minervas Schwerpunkt ist das Hexen-Kunsthandwerk.

Minerva widmet sich dem Kunsthandwerk. (Foto: Claus Hock)

„Zum anderen werde ich auch gerufen, wenn im Haus, in der Wohnung oder im Geschäft etwas nicht stimmt“, erklärt die 47-Jährige. „Manche nennen das Ghostbuster.“ Sie reinigt und segnet die Häuser und hilft bei Geistererscheinungen. „Man muss immer schauen, inwieweit wirklich jemand da ist – manchmal sind es auch ganz andere Dinge.“

Was macht eine Hexe?

Doch was bedeutet es überhaupt, heutzutage eine Hexe zu sein?  „Es bedeutet eine innige Verbindung zu den alten Göttern, zu Naturwesen, den Elementen und dem Geist der Natur zu haben.“ Somit dient die Hexe als Vermittlerin zwischen dieser und der modernen Welt, erläutert Minerva. „Man muss ganz viel wissen, um darin aufzugehen.“

Es gibt freifliegende Hexen und solche, die in einem Hexenzirkel aktiv sind. Minerva bezeichnet sich selbst als frei – sie kann bestimmen wie ihre Rituale aussehen, ohne von anderen beeinflusst zu werden, sagt sie. Doch sie weist darauf hin, dass jede Hexe Freiheit oder die Zugehörigkeit zu einem Zirkel anders definiert. „Es ist immer schwierig, uns unter einen Hut zu bekommen“, sagt die Hexe. „Uns verbindet allerdings alle der Glaube an die große Göttin und den gehörnten Gott – also die Naturgottheiten.“ Minerva repräsentiert somit nur eine Sichtweise in einem breiten Spektrum individueller Hexen und Hexenzirkeln.

Religionswissenschaftlerin und Coach Marion Mahnke (Bild: Anna-Lena Sachs)

Dabei sind Hexen nicht zwingend weiblich, es gibt auch Männer, die sich mit der Hexerei identifizieren. Mehr Männer seien jedoch in der neureligiösen Bewegung Wicca oder im Paganismus zu finden, erklärt die Religionswissenschaftlerin und Coach Marion Mahnke, die sich mit mit neuen Religionen und moderner Spiritualität auseinandergesetzt hat. Da die Delmenhorsterin mit vielen Hexen online und persönlich gesprochen hat, weiß sie, dass Hexen in allen Berufsfeldern und Gehaltsklassen gefunden werden können.

In Deutschland ist die Hexerei zu Beginn der 2000er wieder bekannter geworden. „Ende der 90er Jahre war es noch sehr schwer einen Zugang zu solchen Themen zu finden“, sagt Mahnke. Mediale Darstellungen von Hexen tauchten immer öfter in TV-Serien wie „Buffy“ oder „Charmed“ auf. Doch auch die Buchreihe um den Zauberer Harry Potter spielt in einer ähnlichen Welt. „Diese Sendungen haben womöglich das Interesse vieler geweckt, die sich später ernsthaft mit Hexerei als Lebensstil befasst haben – echte Hexen distanzieren sich aber von der Darstellung von Magie und Hexentum in diesen Serien“, weiß Mahnke. Vielmehr seien sie ein Ausdruck dafür, dass sich das Verständnis des Hexentums von der bösen Hexe im Märchen zu neuen Hexenbildern gewandelt hat.

Seit 25 Jahren Hexe

„Die Medien haben es für die Menschen einfach zugänglicher gemacht“, erklärt auch Minerva. „Aber angefangen hat diese ganze Bewegung eigentlich in den 70er Jahren.“ Vor allem feministische Hexen sollen das alte Wissen wieder nach vorne gebracht haben.

Auf Minervas Hexenhof in Tossens (Butjadingen) gibt es viel zu entdecken. (Foto: Claus Hock)

Minerva begann  schon als 13-jähriges Mädchen sich für Hexerei, Ethnologie und Religion zu interessieren. Seit 25 Jahren ist sie als Hexe aktiv. Dabei gehen nicht alle so offen damit um wie sie. Viele seien laut der Religionswissenschaftlerin Mahnke im sozialen Netzwerk Facebook mit Pseudonymen unterwegs. Es habe sich eine größere Facebook-Community aufgebaut, in der sich unter anderem Hexen, Wicca und Druiden austauschen können. Sie benutzen dazu einen anderen Namen, um ihre private Identität von ihrer öffentlichen Identität zu trennen. Gerade bei Facebook könnten sich potenzielle Arbeitgeber das jeweilige Profil anschauen. „Wer noch plant eine Karriere zu machen, der kann Hexerei und Wicca nicht als Hobby vertreten“, sagt Karriere-Coach Mahnke. Zudem seien Religion und Glauben etwas sehr Persönliches und Intimes, das viele für sich behalten wollen.

„Ich möchte einfach zeigen, dass es die Hexe gibt – fernab von dem Hänsel und Gretel Wahn.“

„Die echte Hexen-Philosophie und Lebensart wird sicher noch mehrere Jahre und Jahrzehnte im Verborgenen bleiben – solange bis eine naturreligiös-magische Weltsicht als genauso normal akzeptiert wird wie gelebter Katholizismus oder praktizierende Buddhisten“, erklärt die Religionswissenschaftlerin.

Auch Minerva ist nicht von Anfang an offen mit ihrer Lebensart umgegangen. „Fast jede Hexe hat einen spirituellen Namen“, erklärt die Religionswissenschaftlerin. So auch Minerva. Es ist der Name der römischen Göttin des Kunsthandwerkes, der Autoren und der Krieger. „Diesen Namen habe ich nicht umsonst erhalten“, sagt sie.

„Bei mir war der Name zu Anfang allerdings auch ein Schutz.“ Als Minerva zunehmend begann  sich mit der Hexerei auseinanderzusetzen, lebte sie noch in Nordrhein-Westfalen. Sie lernte zu Beginn in einem Wicca-Zirkel. Im Gegensatz zu vielen anderen Hexen, lebt sie ihre Berufung heute öffentlich aus. „Ich möchte einfach zeigen, dass es die Hexe gibt – fernab von dem Hänsel und Gretel Wahn.“

Auf YouTube präsentieren sich ebenfalls einige Hexen, erklärt Mahnke, meist sind das jedoch die Hexen, die Aufsehen erregen wollen. Dort zeigen sie verschiedene Zaubersprüche, geben ihr Wissen über die Jahreskreisfeste weiter oder legen Tarotkarten. Das spiegele jedoch nicht wider, was „tatsächlich  in deutschen Wohnzimmern, Gärten und Wäldern an naturreligiöser Spiritualität praktiziert wird“, so Mahnke. Die Hexe Claire hat sich mit Themen rund um die Hexerei einen Kanal mit fast 10.000 Abonnenten aufgebaut.

Zu Minervas Arbeit gehören auch Youtube  und Instagram. Sie zeigt dort verschiedene Zauber sowie Kräuter und teilt ihr Wissen mit Interessenten.

Auftragszauber von der Hexe

In Minervas Hexenladen kommen viele Touristen und Neugierige, die erfahren wollen, was es mit der Hexe auf sich hat. Andere suchen bei ihr Hilfe in verschiedenen Lebenslagen. „Es gibt aber auch Menschen, die ihre Vorurteile pflegen“, weiß Minerva. „Die meinen wir wären Satanisten und würden Teufelsanbetung betreiben, wobei wir gar nichts mit dem Teufel zu tun haben, denn der kommt gar nicht in unserem Glauben vor.“

Minerva präsentiert sich offen als Hexe. (Bild: Claus Hock)

Kein böser Zauber: Menschen, die mit Minerva in Kontakt kommen , müssen somit keine Sorge haben, dass sie verflucht werden könnten. „Ich beeinflusse niemanden“, betont die Hexe. „Ich versuche immer, keinem zu schaden.“ Sie konzentriert sich unter anderem auf Zauber für Liebe, Arbeit, Gesundheit sowie zum Schutz. Dabei nimmt sie auch Auftragzauber an, die sie für jemand anderen durchführt.

Während ihrer Rituale arbeitet sie viel mit Klang und magischen Gesängen, die die Zaubersprüche ersetzen. Wie die Rituale ablaufen, kommt ganz auf den Zweck des Zaubers an. Ist es ein Ritual für einen Kinderwunsch – Minervas Spezialgebiet – räuchert sie mit passenden Pflanzen, benutzt Fruchtbarkeitssymbole wie Eier, Frauenfiguren und Granatäpfel. „Und dann wird die Gottheit angerufen“, erklärt sie. „Diese Praktiken sind immer unterschiedlich und sollten eigentlich auch relativ geheim sein.“ Ein Ritual kann so simpel sein, wie einen Wunschzettel zu verbrennen, andere Zauber können sehr vielfältig sein und mehrere Stunden dauern.

Gemeinsam mit ihrem Mann und neun Katzen lebt Minerva auf ihrem Hof. (Bild: Claus Hock)

Das Räuchern ihres Gartens mit Beifuß ist ebenfalls ein Ritual. Das Kraut dient dazu ihren Garten von schlechten Geistern zu befreien und um die guten gleichermaßen anzuziehen. Nach dem Sommer will sie den Garten reinigen, denn „viele Menschen geben die unterschiedlichsten Energien ab“, erklärt sie.

27-jährige Oldenburgerin, Seriennerd und geborener Lax mit einem Bachelor in American Studies und einem Master in Journalismus.

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