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Robben, Hangeln, Klettern, Stolpern – Wenn die Muskelkraft versagt und das innere Kind sich trotzdem freut

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Bei Sport bin ich hart im Nehmen, „zäh“, hätte meine Oma gesagt. Heute fühle ich mich alles andere als zäh. Mein ganzer Körper schmerzt. Beide Knie sind blau und überhaupt habe ich blaue Flecken an Stellen, bei denen mir unerklärlich ist, wie sie dort überhaupt entstehen konnten. An meiner rechten Wade zum Beispiel. Oder an den Innenseiten meiner Oberschenkel. Und an den Oberarmen. Bei manchen Stellen kann ich wiederum nicht sagen, ob es Muskelkater ist oder eine Prellung. Jede Bewegung ist mühsam. Meine Zahnbürste fühlt sich an wie ein 100-Kilo-Gewicht, wenn ich beim Autofahren den Gang wechsle, tut’s weh. Aber Jammern hilft nichts, immerhin habe ich mir das selbst eingebrockt.

Einen Tag zuvor, ein Sonntag Ende Oktober, stehe ich morgens kurz vor zehn unausgeschlafen und fröstelnd vor dem Vereinsheim des ATS Buntentor in Bremen. Mitglieder der Laufabteilung des Vereins haben im vergangenen August zum ersten Mal einen Extrem-Hindernislauf mitten in Bremen organisiert, den „Crow Mountain Survival“ – „Crow Mountain“, weil das Gelände, auf dem gelaufen, gerobbt und geklettert wird, am Krähenberg auf dem Bremer Stadtwerder liegt, und „Survival“,  weil es vielleicht nicht ums nackte Überleben, wohl aber an so manche körperliche und mentale Grenze geht.  Aufgrund der großen Nachfrage nach der Premiere des „Crow Mountain Survival“ lud der ATS Buntentor im Oktober zweimal zu öffentlichen Trainings auf ihrem Hindernisparcours ein. Nun stehe ich also hier und habe nur eine grobe Ahnung dessen, was mich gleich erwarten wird. Vier Kilometer lang ist die Strecke, es wird durchs Gebüsch und den Deich hoch und runter gehen, mehr Steigungen wird es am Krähenberg geben, wir werden robben, hangeln, klettern, balancieren müssen. Auf Ausdauer, Schnelligkeit, Kraft, Geschicklichkeit und Koordination wird es ankommen. Abgesehen von Ausdauer mangelt es mir davon an fast allem.  Ich schließe mich also, ganz vernünftig, der Anfängergruppe an und lasse den Kollegen bei den Profis mitlaufen. Schließlich bin ich nur zum Schnuppern hier.

Vier Kilometer Laufen ist doch nicht viel! Von wegen…

Gerrit Lubitz, Extrem-Hindernisläufer des ATS Buntentor, trabt voraus, weist uns den Weg und erklärt nebenbei den Parcours. „Vier Kilometer? Wirklich nicht viel“, denke ich mir zu Beginn. Stimmt, vier Kilometer über Stock und Stein sind nicht so viel. Aber es geht ja eben nicht nur über Stock und Stein. Vor uns taucht inmitten eines kleinen Waldstücks die für Extrem-Hindernisläufe  obligatorische Matschgrube auf. Da es an diesem Morgen noch empfindlich kalt ist, rät Gerrit dazu, auf das Matschbad erst einmal zu verzichten. Rat befolgt.

Robben läuft ganz gut. (Bild: Claus Hock)

Kurz darauf wartet das erste „richtige“ Hindernis: Dicht über dem Boden ist ein Netz gespannt. Nacheinander robben wir übers Gras und unterm Netz hindurch. Ging gut. Es folgt eine längere Strecke über Wiesen, Hügel, bestückt mit kleineren Hindernissen, die wir nahezu mühelos überklettern, hinabspringen oder geduckt darunter hindurch laufen.

Gerrit scheint immer wieder spontan kleine Hindernisse mit einzubauen. Weil sie gerade da sind, etwa die kleinen Pfosten, die spielerisch als Slalomeinheit integriert werden, oder eine  Mauer, die sich wunderbar zum Balancieren und Hinunterhüpfen eignet.

Jetzt beginnt der harte Part

„Geht doch alles“, denke ich nach ungefähr der Hälfte immer noch und fühle mich fit wie nie. Doch dann beginnt er, der harte Part: Auf erneutes Robben, dieses Mal leicht abschüssig unter einem Tarnnetz hindurch, und kurze Betontunnels folgt eine Reifeneinheit: Man nehme einen Autoreifen und rolle ihn laufend einmal um die 400 Meter lange Aschenbahn. Klingt einfach, ist es aber nicht. Es strengt an. Damit der Reifen rollt, braucht er konstant Tempo. Schnell laufen und gleichzeitig einen Reifen im Oval stetig anzuschubsen funktioniert bei mir nicht so gut. Abzug bei der Koordination.

Schwieriger als es aussieht: einen Reifen um die Aschenbahn rollen und dabei möglichst schnell bleiben. (Bild: Claus Hock)

Dann kommt die „Snake“, ein fieses Klettergerüst: Wie eine Schlange windet man sich nacheinander um mehrere runde Holzbalken, die zudem in leichten Höhenunterschieden wie das Dach eines Hauses angeordnet sind – über den ersten drüber, unter dem zweiten hindurch, dann wieder drüber, drunter, drüber, drunter. Ich schaffe es bis zum dritten Balken.

Bloß nicht zu lange nachdenken, sonst geht’s schief, wie hier bei der Snake. ( Bild: Claus Hock)

Dann hänge ich in der Luft, zwei Meter über dem Grund, das linke Bein über den  unteren Balken geschwungen, das rechte bereits über dem oberen und höchsten Balken eingehakt, linker Arm stützt unten ab, rechte Hand sucht oben Halt. Wie ich umgreifen soll, ohne einen Sturz auf den Rücken aus zwei Metern Höhe zu riskieren, ist mir schleierhaft. Ich fange an nachzudenken. Ein Fehler. Bloß nicht vor dem Hindernis stehen bleiben und lange nachdenken, einfach machen, sagte Tim Krüger, ebenfalls  Extrem-Hindernisläufer beim ATS Buntentor, vor dem Training noch. Dafür ist es jetzt zu spät.  Panik kommt in mir auf, und ich bin mir sicher, wenn ich jetzt zum Umgreifen oder Umschwingen die Stütze aus dem linken Arm oder Bein löse, dann falle ich. Ich entscheide mich bewusst fürs Scheitern und lasse mich sanft fallen. Auf beide Beine. Ohne Verletzung. Dickes Minus für meine Muskelkraft. Und für meinen Wagemut. Wie das jetzt wohl im Wettkampf wäre? Ausgeschieden, Strafrunde oder so lange probieren, bis es klappt? Ein Glück bin ich hier nur zum Training.

Nach dem Scheitern kommt der Kampfgeist wieder

Und nun? Hochklettern, drübersteigen, runterspringen. (Bild: Claus Hock)

Kurz schütteln und der Kampfgeist ist wieder da. Wir stehen vor einer Holzwand, zwei Meter hoch. Dahinter folgen zwei weitere derselben Art. Diese gilt es zu überwinden. Am besten funktioniert es, indem man seitlich an der Wand hochspringt, mit beiden Händen oben greift, sich mit einem Bein an der Wand abdrückt und das andere Bein über die Wand schwingt. Soweit die Theorie. Ich scheitere wieder an der Praxis, mangels Kraft, Körperspannung und Geschicklichkeit. Das ist aber nicht schlimm, denn spätestens hier kommt ein essentielles Element des Survival-Laufsports ins Spiel: Teamgeist. Man unterstützt sich gegenseitig, mit Räuberleitern, Festhalten, Hochschieben, Wieder-auf-die Beine-Helfen. Mit den Armen und Händen meiner Trainingspartnerinnen schaffe ich es über die erste Wand, bei der zweiten gebe ich einer nach der anderen Hilfestellung. Teamgeist kann ich – endlich mal ein Plus.

Kriechen geht. (Bild: Claus Hock)

Es folgt Hindernis auf Hindernis auf Hindernis, wenngleich eher der locker-flockigen Art: Etwa 20 Zentimeter über dem Boden ist ein Seil gespannt. Dreimal darüber hüpfen ist nun wirklich nicht so schwierig. Ich bleibe trotzdem erst einmal hängen und stolpere. Lässt etwa die Kraft schon wieder nach? Nein, dieser Stolperer fällt wohl eher in die Kategorie „Tollpatschigkeit“. Wir klettern Strickleitern hoch, balancieren über eine Wippe,  staksen über einen Reifenberg, steigen mit Leitern über Zäune und auf Container, springen vom Container auf weiche Matten. Zwischen zwei Bäumen ist eine Slackline gespannt, wir dürfen uns an einem darüber verlaufenden Seil festhalten. Alles easy. Ich vergesse mein zwischenzeitliches Scheitern und fühle mich wie ein Kind auf dem Abenteuerspielplatz. Es macht Spaß. Unter einem weiteren, dicht über dem Boden hängenden Netz robbe ich mühelos hindurch, zwänge mich durch Reifen und kippe achtmal einen  schweren Traktorreifen hin und her, was schon wieder ganz schön in die Armmuskeln geht.

Puddingarme lassen mich nicht im Stich

Hangeln wie ein Äffchen (Bild: Claus Hock)

Dann stehe ich vor den „Monkey Bars“, einem Hangelelement, und bin überzeugt, dass meine Puddingarme mich hier endgültig im Stich lassen werden. Tun sie nich. Zwar bei weitem nicht so flink wie ein Äffchen, hangele ich mich dennoch stur von vorne bis hinten durch. Irrigerweise nehme ich an, dass der Parcours hier zu Ende ist. Weit gefehlt.  Als nächstes müssen wir einen Holzbalken in etwa 1,50 Metern überwinden. Klappt, aber die Kraft lässt spürbar nach. An der Holzwand, die noch ein wenig höher ist als die ersten drei, scheitere ich und ignoriere sie dann einfach.

Schon wieder diese Wand… (Bild: Claus Hock)

In einer Ecke neben dem Tennisplatz auf dem Gelände liegt ein Berg voll Sandsäcke. „Jetzt nimmt sich jeder einen Sandsack und läuft damit um den Tennisplatz“, lautet Gerrits Ansage. Nach wenigen Metern liegt der Sack nicht nur ungelenk, sondern ganz schön schwer in meinen Armen. Trotzdem eines der leichteren Hindernisse. Es geht noch einmal per Strickleiter oder reinen Kletterkünsten hoch hinauf auf einen Container, an der Seite wieder hinab, kurzer Trab durchs Gebüsch und dann ist das Ende tatsächlich erreicht.

 

Ein bisschen Matsch muss sein

Endlich Matsch! (Bild: Claus Hock)

Meine Arme und Beine sind schwer, ich bin erschöpfter als ich angenommen hatte, aber eines muss ich vor der Dusche noch erledigen: die Matschkuhle, die wir zu Beginn links liegen ließen, möchte ich zum krönenden Abschluss dann doch noch ausprobieren. Wenn ich schon mal hier bin.  Mit Anlauf renne ich in den kleinen modrigen Tümpel, bleibe kurz im Matsch stecken, stolpere und bin glücklich wie ein Kind, das in Pfützen hüpft.  Alles in allem ist so ein Hindernisparcours doch wie ein Spielplatz für Erwachsene, nur eben anstrengender. Aber die Anstrengung lohnt sich. Und Muskelkalter und blaue Flecken gehen ja auch wieder weg.

Ob aus dem Reinschnuppern ins Extrem-Hindernis-Laufen mehr wird und ich mich für den nächsten Crow Mountain Survival am 22. September anmelde? Lust hätte ich wohl. Dafür muss ich aber definitiv noch ein wenig üben. Mangels Hindernisparcours direkt vor der Haustür habe ich mir fürs Erste vorgenommen, auf meinen üblichen Laufstrecken das ein oder andere natürliche Hindernis zu integrieren: Über Äste und Bänke springen, auf Mauern balancieren,  vielleicht sogar  mal einen Baum erklettern oder durch Wasser waten. Das mag zwar doof aussehen, aber das innere Kind freut’s bestimmt.

Nathalie Meng

Als Schwarzwaldmädchen geboren, in den vergangenen zehn Jahren jedoch häufig umgezogen, unter anderem nach Berlin, Leipzig, Barcelona. Und nun eben nach Oldenburg. Sagt nach wenigen Monaten im Nordwesten meist schon ganz automatisch "Moin". Mag Schafe, Schiffe und Seefahrerromantik - da kommt ihr die Nähe zum Meer in der neuen Heimat ganz gelegen. Aus ihrer alten Heimat vermisst sie allerdings hin und wieder eine richtige Butterbrezel und hügelige Laufstrecken. Hatte lange Angst vor ihrem dreißigsten Geburtstag. War dann gar nicht so schlimm.

1 Comment

  1. Typisch

    Weihnachten 2018!! Besuch meiner Muckibude (Aktiv )mit DIR geplant.

    Gruß vom Bach-Altenberg

    b.x.

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