Im vergangenen Dezember war ich das erste Mal auf einer Lesung. Klingt erstmal lahm, war aber echt spannend. An diesem Abend stellte zwischen Wein und Knabberzeug eine Autorin ihre Lieblingsbücher für die kommende Lesezeit vor. Und dabei präsentierte sie auch „Kleine, große Schritte“ von Jodi Picoult. Die Story einer schwarzen Krankenschwester, die von einem rechtsradikalen Paar für den Tod ihres Säuglings verantwortlich gemacht wird. Das Buch landete prompt auf meinem Wunschzettel.
Das Buch mit dem blumigen Buch-Cover und dem alt-rosanen Umschlag schaffte es also unter den Weihnachtsbaum. Um ein schnelles Ende als ungelesenes Exemplar zu finden, denn ich konnte die spannende Story nicht lange liegen lassen. Wie schon erwähnt geht es um die Krankenschwester Ruth Jefferson, die während ihres Dienstes die Nachsorge für ein Säugling und seine Mutter nach der Geburt übernimmt.
Als sie die erste Untersuchung vornehmen will, reagiert der Vater gereizt – er ist, genauso wie seine Frau, rechtsradikal. So bekommt Ruth die Anweisung, sich nicht mehr um die Familie zu kümmern. Doch als niemand ihrer Kollegen auf der Station ist, passiert ein Notfall. Und Ruth muss sich entscheiden, ob sie dem Kleinen hilft oder sich an die Anweisung ihrer Chefin hält. Ein ganz schön krasser Gewissenskonflikt, wie ich finde.
Drei Perspektiven
Das Neugeborene stirbt und es beginnt die juristische Schlammschlacht gegen die erfahrene Krankenschwester. Und es wird deutlich, dass Rassismus auch heutzutage noch keine Vergangenheit ist. Die Autorin berichtet aus drei Perspektiven. Aus der von Ruth und ihrer Gefühlswelt in all dem Chaos, aus der des rechtsradikalen Vaters und seiner Geschichte und den Weg in die Rechtsradikalität. Und es beleuchtet die Sichtweise der Anwältin von Ruth, die durch ihre Mandantin immer tiefer in die Situation von Afroamerikanern und Minderheiten herein fühlen kann.
Wie gesagt, ich konnte das Buch nur schwer aus der Hand legen. Bis zuletzt ist nicht klar, wie sich die Jury im Verfahren entscheidet. Es wird erschreckend deutlich, wie spürbar der Rassismus in den USA – und damit wahrscheinlich auch in Deutschland ist. Ich bin selbst ins Grübeln gekommen und habe mich reflektiert – bin ich vielleicht auch manches Mal rassistisch? Und wenn auch unbeabsichtigt?
Spannend habe ich auch empfunden, dass die Autorin Jodi Picoult weiß ist und die Gesichte zumindest teilweise auf wahren Tatsachen beruht. Die Autorin schreibt dazu:
„Zu Beginn meiner Schriftstellerkarriere wollte ich ein Buch über Rassismus in den USA schreiben. Bewogen hat mich dazu ein Ereignis in New York, als einem schwarzen verdeckten Ermittler der Polizei mehrere Male in den Rücken geschossen wurde, und zwar von weißen Kollegen. Ich begann mit dem Roman, scheiterte und brach ab. Es gelang mir nicht, dem Thema gerecht zu werden. Ich wusste nicht, wie es war, als Schwarzer in diesem Land aufzuwachsen, und es fiel mir schwer, eine Figur zu erschaffen, der sich echt anfühlte. Zwanzig Jahre später wollte ich wieder unbedingt über Rassismus schreiben.
Dann las ich in der Zeitung von einer schwarzen Krankenschwester in Flint, Michigan. Sie war seit über zwanzig Jahren als Hebamme tätig, als eines Tages der Vater eines Neugeborenen verlangte, dass sein Kind weder von dieser Hebamme, noch von anderen ihrer Hautfarbe, angefasst wurde. Wie sich herausstellte, war er ein Rechtsextremist. Das afroamerikanische Personal tat sich zusammen, klagte wegen Diskriminierung und gewann. Ich begann, eine Geschichte zu erfinden.“
Also liebe Leute, lest das Buch. Es hat eine tolle Geschichte, die zum Nachdenken anregt, zum Schmunzeln und zum Tränchen verdrücken bringt. Mir hat der Stil des Erzählens sehr gut gefallen, es gibt immer wieder unvorhergesehene Wendungen. Und der Rassismus ist mit Sicht auf den Populismus auch in Deutschland aktueller denn je. Eine absolute Lese-Empfehlung!