Nordisch unterwegs

Wo ist eigentlich die Hunte schon wieder?

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„Radtouren entlang von Flüssen – das machen doch vor allem Ehepaare ab Mitte fünfzig. In ihrem Sommerurlaub.“ Das hat ein Freund von mir mal gesagt, mit leicht spöttischem Unterton. Ich habe nicht widersprochen, habe sogar mitgelacht. Ich habe aber auch nicht gesagt, dass ich selbst großer Fan von Radfernwegen, die an Flüssen entlangführen, bin. Was es da nicht alles gibt: Donauradweg (2850 Kilometer durch acht Länder), Rheinradweg (1233 Kilometer durch vier Länder), Elberadweg (1260 Kilometer durch zwei Länder), um nur ein paar Beispiele zu nennen. Und dann gibt es noch den Hunteradweg (137 Kilometer durch vier, äh, Landkreise). Zugegeben: Der Hunteradweg fällt hier vergleichsweise mickrig aus. Das wird aber zum Vorteil, wenn die Zeit für 1000 Kilometer und mehr gerade nicht reicht. Wenn man zum Beispiel nur ein Wochenende dafür aufbringen möchte, oder zwei. Auf der offiziellen Website des Hunteradweges wird empfohlen, die knapp 140 Kilometer in vier Etappen von ja 30 bis 35 Kilometern aufzuteilen. Womit wir wieder beim gemächlichen Radeln entlang von Flüssen ab Mitte fünfzig wären. Ich habe mich für eine unregelmäßige Aufteilung in zwei Etappen entschieden, machbar an einem Wochenende.

Die empfohlene Streckenaufteilung ist folgende:

  1. Etappe: Elsfleth-Oldenburg (31 Kilometer)
  2. Etappe: Oldenburg-Wildeshausen (38 Kilometer)
  3. Etappe: Wildeshausen-Barnstorf (35,5 Kilometer)
  4. Etappe: Barnstorf-Dümmer See (32,5 Kilometer)

Meine Tour hat nur zwei Etappen

Ursprünglich war mein Plan, die Hunte von der Mündung in die Weser bei Elsfleth bis zur Quelle zu fahren. Diese Quelle ausfindig zu machen, ist allerdings gar nicht so einfach. Irgendwo in einem Trapez zwischen Osnabrück, Bad Essen, Melle und Lübbecke soll die Hunte wohl entspringen. Hilft jetzt nicht so richtig, ne? Das dachte ich mir jedenfalls und hielt mich an den offiziellen Radweg.

Weil ich in Oldenburg wohne, die Hunte in nicht mehr als zwei Tagen abradeln und dabei so wenig wie möglich auf öffentliche Verkehrsmittel zurückgreifen wollte, teilte ich mir die Strecke wie folgt ein:

  1. Etappe: Oldenburg-Elsfleth-Oldenburg (ungefähr 60, plus ein paar „Umwegskilometer“)
  2. Etappe: Oldenburg-Dümmer-Diepholz (ungefähr 110 Kilometer, plus einige „Verfahrenskilometer)

Es gibt für 6,90 Euro Radführer zu kaufen, entweder bei den Touristeninformationen entlang der Strecke oder online hier . Kann man machen, muss man aber nicht. Denn: Man kann sich auch ganz blauäugig auf die Beschilderung mit der blauen Huntewelle verlassen und sich zur Sicherheit einen GPS-Track, den es auf dieser Homepage gibt, auf das Smartphone laden (hier könnt ihr euch das im Detail selbst angucken). Dies – ergänzt mit GoogleMaps – lässt die Wahrscheinlichkeit, weit ab von der Strecke zu landen, relativ gering werden.

Erste Etappe

Entlag der Hunte auf dem Hunteradweg
Idylle am Huntedeich (Bild: Nathalie Meng)

Starten wollte ich an einem Samstagmorgen im Hochsommer, allerspätestens um elf Uhr. Es wurde dann halb drei. Einen Rucksack mit drei Litern Wasser, Brötchen, Banane und Keksen geschultert, schwinge ich mich also in der größten Nachmittagshitze aufs Rad und rase los in Richtung Hunte. Ja, ich rase. Entspanntes Radfahren gelingt mir aus mir unerklärlichen Gründen nur selten. Das erste Hunteradweg-Schild finde ich mit Hilfe des oben beschriebenen GPS-Tracks irgendwo in der Nähe von Ikea in Oldenburg sofort. Ich rase weiter und folgte den grünen Pfeilen auf den Radwegweisern. Bald schon geht es kilometerweit am Deich entlang. Anfangs stoppe ich noch alle paar Meter, so entzückt bin ich: Links der Deich mit Hunderten von Schafen, rechts bald schon die Weite der Wesermarsch. Ich sause weiter und weiter, vom Deich geht es bald an Neuenhuntorf und Huntebrück vorbei – Idylle pur!

Wo ist eigentlich die Hunte?

Irgendwann frage ich mich aber: „Wo ist sie nun eigentlich, die Hunte?“ Denn der klitzekleine Haken am Radweg ist, dass längst nicht alle Streckenabschnitte tatsächlich am Fluss entlangführen – oder die Hunte sich hinterm Deich versteckt. Wer sich bei dieser Tour auf hundertprozentiges Flussradeln eingestellt hat (so wie ich), sollte sich dennoch nicht enttäuschen lassen: Schön und vor allem abwechslungsreich ist die Strecke allemal.

Entlag der Hunte auf dem Hunteradweg
Wo die Weser die Hunter verschluckt (Bild: Nathalie Meng)

Kaum darüber nachgedacht, ist sie auch endlich wieder da: Rechter Hand lasse ich die Elsflether Werft hinter mir und schon glitzert die Hunte in der Sonne,  kurz bevor sie von der großen Weser verschluckt wird. Offiziell beginnt (oder endet) der Radweg am Bahnhof in Elsfleth. Es wäre aber doof, denke ich mir, hier kehrt zu machen. Und flitze weiter, das letzte Stück bis zum Huntesperrwerk. Langsam (!) rolle ich das letzte Stück zwischen Hunte und Yachthafen hinab, setze mich dann dort, wo die Hunte die Weser küsst (oder so) auf den staubigen Boden und blicke den Schiffen auf der Weser nach.

 

Keine Menschenseele weit und breit

Das erste Stück wäre also geschafft, denke ich selig. Dann fällt mir ein, dass das erste Stück – rund 30 Kilometer – nun wirklich nicht der Rede wert ist. Das war nur das Warmfahren. Auf dem Rückweg nach Oldenburg entscheide ich mich nach dem Überqueren der B212 vor Elsfleth, nicht nach links Richtung Huntebrück zu fahren, sondern verlasse die offizielle Strecke, indem ich einfach gerade aus weiterfahre und blind der radweggrünen Beschilderung „Oldenburg“ folge.

Entlag der Hunte auf dem Hunteradweg
Auf dem Rückweg ist von der Hunte mehr zu sehen. (Bild: Nathalie Meng)

Die unbekannte Strecke führt mich vorbei an Feldern und Sielen, unter surrenden Stromtrassen hindurch, hin und wieder stakst ein Storch über eine Wiese, Kühe schauen mir beim Radeln zu, Menschen sehe ich nirgends. Der einzige weit und breit bin ich. Ein eigenartig schönes Gefühl, wenn sich die Geräuschkulisse in Zeiten von zunehmender Reizüberflutung aus nichts als Muhen, Mähen, Vogelzwitschern und -kreischen zusammensetzt. „Jetzt bloß kein Schild mit grünem Pfeil verpassen, sonst landest du am Ende noch in Bockhorn oder Butjadingen“, ermahne ich mich selbst. Ich glaube, es geht zunächst in Richtung Bardenfleth oder Eckfleth. Sicher bin ich mir jedoch nicht. Jedenfalls scheine ich den grünen Pfeilen der Radwegweiser richtig zu folgen: Einige Male biege ich ab, dann lande ich wieder auf dem Deich und in der Ferne blitzt die Hunte in der Abendsonne. Vorbei an Schafherden, einmal sogar mitten durch eine Herde tiefenentspannter Schafe hindurch und – endlich! – für einige Kilometer direkt an der Hunte entlang, trete ich nochmal kräftig in die Pedale. Bald sause ich unter der Huntebrücke hindurch, am Hafen vorbei in Richtung Innenstadt und schon bin ich wieder zuhause. Morgen geht’s weiter. Startschuss ist für halb neun geplant. Es soll noch heißer werden und die Strecke ist fast doppelt so lang.

Zweite Etappe

Entlag der Hunte auf dem Hunteradweg
An Tag zwei geht es zunächst durch die Wildeshauser Geest. (Bild: Nathalie Meng)

Um kurz vor halb zehn fahre ich los. Über Hundsmühlen, Tungeln und vorbei am Tillysee flitze ich noch frisch und motiviert Richtung Wardenburg. Irgendwo zwischen Wardenburg und Sandkrug verfahre ich mich zum ersten Mal so richtig. Ich wundere mich einige Kilometer lang über die überhaupt nicht mehr fahrradfreundliche Huckelpiste, bis ich irgendwann in einer Sackgasse lande. Erst dann konsultiere ich den GPS-Track und ärgere mich, dass ich so lange in die falsche Richtung gefahren bin, das Ganze nun wieder zurückradeln muss und dadurch viel Zeit verloren habe. Im nächsten Moment ärgere ich mich darüber, dass mich darüber geärgert habe, so viel Zeit verloren zu haben. „Das ist hier doch kein Wettkampf“, muss ich mir selbst nochmal klarmachen. Zeit spielt bei dieser Tour nur im Hinblick auf den Zugfahrplan eine Rolle: Die letzte Verbindung von Diepholz nach Oldenburg irgendwann nach 21 Uhr sollte ich im Hinterkopf behalten.

Wieder auf der richtigen Spur angekommen, radele ich weiter. Zwischen Sandkrug und Sandhatten führt der Hunteradweg durch ein wunderschönes Waldstück. Inmitten des Waldes mache ich einen kurzen Halt. Einfach so. Und lausche. Es brummt, zirpt, raschelt, rauscht. Und plötzlich ein „Moin“. Ich zucke zusammen. Zwei Wanderer marschieren flott an mir vorbei, die ersten Menschen, denen ich bisher auf der Strecke begegnet bin.

Entlag der Hunte auf dem Hunteradweg
Mittagsrast kurz vor Wildeshausen (Bild: Nathalie Meng)

Weiter geht’s. Zwischen Sandhatten und Dötlingen verfahre ich mich erneut. Ich lande irgendwo auf einem Feld, bei einem Steingrab, das ich nicht vorhatte zu besichtigen. Aber da ich nun schon mal da bin, gönne mir eine kurze Pause und lasse die Aura des vorgeschichtlichen Ortes auf mich wirken. Das heißt, ich gucke mich einmal kurz um, atme dreimal tief ein und aus – und fahre weiter. Schnell bin ich wieder auf dem Radweg angekommen, strample mich wacker an Ostrittrum vorbei durch Dötlingen und freue mich, dass ich zwischen Dötlingen und Wildeshausen tatsächlich zu einem großen Teil am Hunteufer entlangfahre. Kurz vor Wildeshausen gönne ich mir eine Rast. Es ist ganz schön heiß mittlerweile, aber ich bin im Flow und denke gar nicht erst daran, dass ich bisher höchstens die Hälfte der Strecke hinter mir habe. Und strample weiter. Vorbei an Colnrade geht es Richtung Goldenstedt. Von der Hunte ist wieder nicht allzu viel zu sehen, ich überquere sie allenfalls drei-, viermal.

Es wird mühselig

Entlag der Hunte auf dem Hunteradweg
Hab ich mich verfahren? (Bild: Nathalie Meng)

Der Streckenabschnitt zwischen Goldenstedt und Barnstorf langweilt mich zunächst nur, kurz vor Barnstorf schlaucht er mich. Die Stimmung kippt. Ich habe keine Lust mehr, möchte auf den Schildern die Kilometerangaben bis zum nächsten Ort gar nicht lesen, nur um nicht wissen zu müssen, wie lange ich noch fahren muss. An einem Eiscafé in Barnstorf widerstehe ich der Versuchung, mir ein Eis zu holen und mich erstmal zu setzen, zu groß ist die Gefahr, dass ich nicht mehr weiterfahren möchte. Ein paar Meter weiter erscheint linker Hand plötzliche eine Wassermühle, auf einem Schild davor steht „Schwarzwald Wassermühle“. Schwarzwald? Habe ich mich verfahren? Fange ich an zu Halluzinieren? Dehydriert oder unterzuckert? Ich hätte doch das Eis essen sollen, denke ich, und esse stattdessen vorsorglich ein paar Kekse. Ich steige, wenig motiviert wieder aufs Rad und fahre stoisch weiter. Rechtern, Dreeke, Cornau – vorbei an kleinen Dörfer, die mir nichts sagen, mitten im Nirgendwo eine Hühnerfarm, mein Hintern tut weh, meine Knie auch, und wo ist eigentlich schon wieder die Hunte?

Entlag der Hunte auf dem Hunteradweg
Noch gut 20 Kilometer bis zum Dümmer: Erstmal eine kurze Pause. (Bild Nathalie Meng)

In dem Örtchen Drebber treffe ich wieder auf den Fluss, der hier eher einem Bach gleicht. Ein gutes Zeichen, sage ich mir, das kann nur heißen, dass wir der Quelle – oder eben dem Dümmer See – immer näher kommen. Bis nach Diepholz sind es noch rund zehn Kilometer. Stumpf weiterstrampeln, nur um es hinter mich zu bringen, oder doch noch eine kleine Pause? Ich entscheide mich für die Pause, setze mich am Hunteufer in den Schatten eines Apfelbaumes und versuche, mich möglichst wenig zu bewegen. Hintern und Knie tun immer noch weh, außerdem ist es flirrend heiß. Die Pause dauert lange, nach einer Dreiviertelstunde setze ich mich vorsichtig wieder auf den Sattel. Aua. Und fange langsam an, in die Pedale zu treten. Nochmal aua. Nach ein paar hundert Metern gerate ich langsam wieder in einen nahezu schmerzfreien Strampelmechanismus. Strampeln um des Strampelns Willen, mein Hirn ist längst im Standby-Modus. Und schon bin ich in Diepholz.

Skulpturenpark und Endspurt

Entlag der Hunte auf dem Hunteradweg
Fibonacci Cubes: riesige Würfel aus Stahl inmitten staubiger Felder (Bild: Nathalie Meng)

Plötzlich packt mich der Ehrgeiz wieder. Bis zum Dümmer See ist es nun wirklich nicht mehr weit, nochmal rund zehn Kilometer. Diese möchte ich möglichst  schnell hinter mich bringen. Falsch gedacht: Kurz nachdem ich Diepholz hinter mir gelassen haben, führt der Hunteradweg durch einen Skulpturenpark. Ich kann gar nicht einfach so durchrasen, sondern muss mir das ein oder andere Kunstwerk etwas genauer anschauen. Besonders beindrucken mich die nicht zu übersehenden „Fibonacci-Würfel“ von Petra Pfaffenholz: Riesige durchlässige Würfel aus Stahl stehen mitten auf verstaubten, trockenen Feldern. Surreal wirkt das Ganze. Abgesehen von den kleinen Kunstpausen strampel ich die letzten paar Kilometer zügig ab, wo die Hunte gerade fließt, ist mir mittlerweile auch egal – und plötzlich glitzert wieder Wasser vor mir in der Sonne: Nicht die Hunte ist’s, sondern der Dümmer See.

 

 

 

Geschafft! Na ja, fast…

Entlag der Hunte auf dem Hunteradweg
Geschafft! Nach 130 Kilometern glücklich am Dümmer See angekommen. (Bild: Nathalie Meng)

Schnell sause ich in Richtung Strandbad, hole mir am Kiosk ein Eis, setze mich am Ufer in den kühlen Sand und mache eine halbe Stunde lang erstmal gar nichts. Ich bin erschöpft, glücklich, und verdränge vollkommen, dass ich noch nach Diepholz zurückfahren muss. Nach einer knappen Stunde das Nichtstuns am Ufer des Dümmer Sees entscheide ich spontan, den nächsten Zug anstatt des übernächsten zu nehmen. Der fährt in einer guten halben Stunde, ein Ticket muss ich auch noch kaufen. Das kann klappen, muss aber nicht. Ich rase also ein letztes Mal los, rase nun doch noch gegen die Zeit und erreiche nach einer knappen halben Stunde den Bahnhof in Diepholz. Schlange vor dem Fahrkartenautomaten. Das war klar. Zwei Minuten vor Abfahrt zieh ich mir mein Ticket, der Zug rollt schon ein, während ich mit meinem Rad unterm Arm die Treppen hinaufrenne. Ticket entwerten, in den Zug springen – und er fährt los. Beim Umsteigen in Bremen plündere ich noch den Süßigkeitenautomaten, eine halbe Stunde später bin ich endlich wieder in Oldenburg. Die tatsächlich letzten paar Kilometer vom Bahnhof bis nach Hause sind dann auch die schlimmsten. Knie und Hintern melden sich zurück. Zwei Stunden später sind aber auch die Schmerzen wieder vergessen: Frisch geduscht sitze ich vor einem Topf voller Nudeln und fühle mich gut.

Für Nachmacher: Besonders reizvoll sind Radtouren entlang von Flüssen im Spätsommer oder Frühherbst. Das habe ich mir von Ehepaaren ab Mitte fünfzig sagen lassen. Also, auf den Sattel, fertig – los!

Nathalie Meng

Als Schwarzwaldmädchen geboren, in den vergangenen zehn Jahren jedoch häufig umgezogen, unter anderem nach Berlin, Leipzig, Barcelona. Und nun eben nach Oldenburg. Sagt nach wenigen Monaten im Nordwesten meist schon ganz automatisch "Moin". Mag Schafe, Schiffe und Seefahrerromantik - da kommt ihr die Nähe zum Meer in der neuen Heimat ganz gelegen. Aus ihrer alten Heimat vermisst sie allerdings hin und wieder eine richtige Butterbrezel und hügelige Laufstrecken. Hatte lange Angst vor ihrem dreißigsten Geburtstag. War dann gar nicht so schlimm.

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