Shabby Chic: Viel braucht es eigentlich gar nicht, um aus einem etwas abgeliebten und ausrangierten Möbelstück wieder einen tollen Einrichtungsgegenstand zu zaubern. Aber – wie bei so vielem – heißt es auch hier: Gewusst wie! Ich habe mich mit einem dunkelbraunen Telefontisch nach Art „Eiche rustikal“ auf den Weg nach Hude gemacht und habe gelernt, wie aus „Shabby“ mit ein paar Handgriffen plötzlich „Chic“ werden kann.
Mein Freund und ich ziehen gerade um. Auf eine Art Resthof. Das heißt: Altes Haus, schiefe Wände, krumme Böden und nostalgische Fliesen an der Wand. Bäuerliche Einrichtung passt da also ganz gut, dachten wir uns, aber dunkel und behäbig darf sie bitte nicht sein, außerdem natürlich kein Vermögen kosten. Beim Durchforsten von Garage und Co hatten wir Glück und fanden einige ausrangierte Möbelstücke von Oma. Von den Formen hübsch, aber diese dunkle Eiche… Nicht das erste Mal habe ich daran gedacht, einfach alles umzustreichen, damit es freundlicher wirkt. Irgendwie bin ich vorher aber nie dazu gekommen, zumal wir in der alten Wohnung auch nur begrenzt Platz hatten. Aber jetzt!

Werkstatt auf dem Hof Mümken
In Hude auf dem Hof Mümken arbeitet die Expertin für solche Fälle: Claudia Behrendt hat hier ihre kleine Werkstatt und hübscht unansehnliches Mobiliar mit dem Shabby Chic wieder soweit auf, dass es wieder einrichtungstauglich wird. Da bekommt das Wort „aufmöbeln“ doch eine ganz neue Bedeutung. Mit einer ganz speziellen Technik, besonderen Farben und einer guten Portion Fantasie macht sich die 46-Jährige daran, aus alten, eingelagerten Teilen wieder Prachtstücke zu machen – das ist „shabby chic“ – schäbiger Schick eben.
Also packe ich mein altes Eichen-Tischchen ein und düse nach Hude. Claudia Behrendt ist begeistert, als sie das verwitterte Ding sieht. „Na, das werden wir auf jeden Fall toll hinkriegen“, ist sie zuversichtlich. Sie liebt Einrichtungsgegenstände mit eigenen Geschichten. „Ich liebe Dinge, die nicht perfekt sind und dadurch perfekt werden“, sagt sie. Der Stil, den auch Claudia Behrendt selbst gern mag, ist eine Mischung aus Sperrmüll-Charme, Do-It-Yourself-Flair und einem Stück aus der Vergangenheit. Shabby Chic halt.
Shabby Chic-Kurse für Möbelfreunde
Einmal wöchentlich arbeitet die gelernte Zahnarzthelferin bei einem Zahnarzt, doch sie hat das geschafft, wovon andere träumen: Das Hobby zum Beruf machen. In ihrer kleinen Werkstatt schleift, malt und streicht sie seit etwa vier Jahren nicht nur selbst verschiedene Interieurstücke, inzwischen gibt sie auch Kurse für all diejenigen, die den schäbigen Schick genauso mögen wie sie selbst – und jetzt auch ich. Das ist allerdings nicht alles. Claudia Behrendt richtet auch Junggesellenabschiede aus oder erklärt befreundeten Gruppen, mit welchen Tricks sie unbenutzes Mobiliar wieder aufhübschen. Außerdem hilft sie Menschen beim Einrichten. Dafür hat sie extra ein einjähriges Fernstudium absolviert und kann jetzt bei allen (Wohn-)Raumfragen Rede und Antwort stehen. „Ich weiß gar nicht warum, aber dafür habe ich einfach ein Gefühl, den speziellen Blick. Ich sehe irgendwie, was an welcher Stelle gut aussehen würde.“
Mischung aus Flohmarkt-Flair und Do-It-Yourself
Claudias Kurse sind gefragt: „Die ersten etwa 50 Teilnehmer kamen aus dem Ruhrgebiet, einige kommen sogar aus Frankfurt oder München hierher“, ist Behrendt stolz darauf, dass ihre „Shabby Chic-Werkstatt“ schon so weite Kreise gezogen hat. „Ist doch toll zu sehen, was Menschen für weite Wege auf sich nehmen, um hierher zu kommen“, findet sie. Ihre Inspiration hat Claudia nicht aus Deutschland. Ihr hat es der skandinavische Einrichtungsstil angetan. „Da passt alles immer irgendwie zusammen, ohne dass es zu perfekt wirkt“, findet die 46-Jährige. Oft habe sie besondere Stücke auf Flohmärkten ausfindig gemacht oder ihr sei beim Joggen in einem anderen Garten etwas Hübsches aufgefallen. Und dann heißt es: „Einfach ausprobieren. Manche Schleiftechniken oder Farbkompositionen muss man einfach mal testen, dann weiß man, ob es gut aussieht.“
Weiße Kreidefarbe und bunte Knöpfe
Dass mein Oma-Tischchen nach unserer Aufhübsch-Mission toll aussehen wird, scheint Claudia Behrendt schon jetzt zu wissen. Weiß soll es werden, habe ich mir überlegt. Dafür machern Claudia und ich nun Folgendes:
- Abschleifen, damit eventuelle Lacke oder Ölreste vom Möbelstück verschwinden.
- Grundieren. So kommen eventuelle Ausdünstungen des Holzes später nicht dunkel durch die weiße Farbe hindurch.
- Mit Kreidefarbe streichen. Zwei- bis dreimal, damit sie richtig gut deckt.
- Künstliche Gebrauchsspuren einarbeiten, um dem Möbelstück den alten Flair zu verleihen. „Used Look“ sozusagen
- Eine eigens von Claudia angemischte Patina auftragen. Die versiegelt die Farbe, sodass mein Tischchen abwischbar wird
- Freuen!
Für’s Schleifen empfiehlt Claudia eine 120-er Körnung. „Bei gröberem Papier könnte man später Spuren auf dem Holz sehen, bei feinerem wird man nie fertig.“ Natürlich muss man besonders bei größeren Möbeln nicht alles per Hand schleifen, da gibt es viele verschiedene Maschinen im Angebot. Claudia gibt mir Anweisungen für die Grundierung: „Am besten arbeitet man mit Kunsthaarpinseln und leichtem Druck. Dann sieht das Finish nachher streifenfrei aus.“ Normalerweise müssen die Farbschichten jeweils mehrere Stunden trocknen. Doch so viel Zeit haben wir nicht. Dafür hat Claudia einen Trick auf Lager: „Hier, nimm einfach einen Föhn“, sagt Claudia mit einem Augenzwinkern und hat ihren schon angeschaltet. Ratzfatz trocknet die Grundierung. Mit der weißen Kreidefarbe geht es weiter. „Die mag ich so gerne, weil sie nicht riecht und zu 95 Prozent aus Kreide besteht. Außerdem lässt sie sich toll verarbeiten und sieht am Ende schön matt und pudrig aus“, erklärt die Expertin. Sie benutzt sie auch gern als Wandfarbe. „Das Raumklima ist dann einmalig.“
Die einzelnen Shabby Chic-Schritte im Bild




Meine Kollegin Emily von dem Youtube-Kanal SACH AN! war auch mit dabei und hat ein kleines Video gedreht. Was wir auch gelernt haben: Kunsthaarpinsel funktionieren am besten!
Weiß mag ich das Möbelstück schon viel lieber. Aber jetzt kommt der richtige Clou, um es nach der Aufbereitung wieder „alt“ aussehen zu lassen. „Naturgetreue Macken arbeiten wir mit einem Messer und Schleifpapier ein. Los geht’s“, sagt Claudia. Ich traue mich irgendwie gar nicht, die perfekte weiße Farbschicht zu zerstören, aber Claudia Behrendt hat schon beherzt mit dem Messer an einigen Ecken gekratzt. Na, dann. Es macht unheimlich viel Spaß zu sehen, wie das Tischchen sich verwandelt und mehr und mehr in neuem Glanz erstrahlt. Zum Abschluss tragen wir die Patina nach Geheimrezept auf, die die Farbe versiegelt, „und den alten Look hervorhebt.“ Ich darf mir noch Möbelgriffe aussuchen, das finde ich das allerbeste. Ich krame in Claudias Sammelsurium und halte verschiedenfarbige Knaufe an mein weißes Tischchen. Ich entscheide mich für türkisfarbene. Ich bin begeistert. Das strahlend schicke Beistelltischchen ist kaum zu vergleichen mit dem alten dunklen Holzklumpen von vorher.
Die Ergebnisse des Shabby Chic-Experiments


Angefangen in einem Gartenhäuschen
Angefangen hat Claudia Behrendt mit der Möbelaufbereitung zu Hause. „Mein Mann hatte mir ein kleines Gartenhäuschen zum Werkeln gekauft.“ Doch da darin der Wasseranschluss fehlte und die Mini-Werkstatt aus allen Nähten platzte, musste etwas anderes her. „Familie Mümken kennen wir schon, seit unsere Kinder gemeinsam in den Kindergarten gingen. Ich habe dann einfach mal gefragt, ob es eine Möglichkeit gäbe, mir ein Plätzchen auf dem Hof zu vermieten. Ja, und nun bin ich hier“, sagt Claudia Behrendt glücklich.“
Und weil mit ein bisschen Farbe so viel Veränderung herbeizuführen ist, gestaltet Claudia Behrendt auch ihr eigenes Heim regelmäßig um. „Mein Esstisch ist uralt und die Häufigkeit seiner Anstriche kann ich gar nicht mehr zählen. Gerade hat er aber weiße Beine, mal sehen, wie lange noch…“
So kann sich das Möbelstück doch wirlich sehen lassen!